Samstag, 14. Juni 2008

Stairway of Style

Hey, Leute. Hiermit melden wir uns nach langer Schaffenspause zurück. Wir haben unseren Stil überdacht, Informationen gesammelt, und sind nunmehr bereit, wieder voll durchzustarten.
Also... Becker pennt sicher noch, also mache ich einfach mal den Anfang.

Letztes Wochenende war ich bei Rock am Ring. Die Tage waren laut, dreckig, schmerzhaft, kurz: einfach großartig. Die Leute waren cool drauf, das Bier kalt, aber den Kern des Ganzen bildete natürlich die Musik. Mir fiel einmal mehr auf, wie wenig man eine Band kennt, wenn man sich nur ihre Musik… besorgt hat, sie aber noch nie live sah oder dergleichen. Ich wollte nicht einfach nur ihre Musik hören. Als sich mein verklärter Blick auf die Bühnen richtete, wollte ich wissen, ob die Bands Stil hatten, ob sie wirklich einhundertprozentig hinter dem standen, was sie taten, und wie sie es taten.
Auffällig war, dass viele der vergleichsweise unbekannten und weniger erfolgreichen Bands, wie etwa Opeth oder Seether, eine wirklich tolle Show ablieferten, sich regelrecht die Seele aus dem Leib spielten, obschon sie wussten, dass sie mit ihren 20 Minuten verfügbarer Zeit nur die Massen bei Laune halten sollten. Brav, Jungs, gut gemacht, jetzt macht Platz für Bullet for my Valentine. Es kümmerte sie einfach nicht. Sie waren da, hatten ein Publikum, und machten etwas daraus. Mehr zählte nicht. Das hatte einfach Stil.
Dieses Phänomen funktionierte jedoch auch in umgekehrter Richtung. Als es Abend wurde, Nightwish durch war, die Menschen laut, voll und in Rage waren, traten The Offspring auf. Eine große Bühne, gute Akustik, zehntausende von Leuten, eine der etabliertesten Bands der Punk-Szene, und Brian „Dexter“ Holland zog eine Fresse, als hätte ihm Keith Richards gerade die Lieblingsgitarre abgekauft. Ganz ernsthaft, so unmotiviert und offensichtlich gelangweilt habe ich noch nie eine Band spielen sehen. Die Ansage lautete: „We’re Offspring. We’re famous.“ …oder so ähnlich. Zumindest hatte diese Band klar erwartet, dass ihr Auftritt ein Selbstläufer würde. Und das wurde es auch. Jeder Quadratzentimeter Festivalgelände huldigte ihnen. Die wenigen Leute, die diese Farce erkannten und sich lauthals beschwerten, wurden an Pfähle gebunden und öffentlich gemartert, weshalb ich meine Bedenken für mich behielt. Die Band mochte so vieles haben, Stil hatte der Auftritt nicht.
Womit wieder einmal bewiesen wäre, dass sich Stil nicht immer am kommerziellen Erfolg messen lässt. Sicherlich gibt es Bands, die gerade aufgrund ihres Stils berühmt wurden, doch andere wurden es, indem sie ihre Seelen an den Satan Musikindustrie verkauften. Auf meiner Arbeit muss ich den ganzen Tag FFN hören. Der Radiosender spielt anscheinend nur drei Songs: Lasse Reden von den Ärzten, Valerie von Amy Winehouse, und einen dritten, den ich verdrängt habe. Vermutlich ein Remix aus den beiden letzteren.
Aber ich schweife ab.

Ich habe nun versucht, grafisch darzustellen, wie stilvoll einige ausgewählte Bands sind. Hier das Ergebnis:


Man kann die meisten Bands grob in eine von drei Kategorien einteilen. Entweder, die Band macht einfach absolut geniale Musik und ist so Stilvoll wie Moritz Bleibtreu in Lammbock. Oder aber, die Musiker haben, was Auftreten und Musik anbelangt, eigentlich keinen Stil, ignorieren dieses Faktum aber schlichtweg und machen genauso weiter wie vorher, was ihnen wiederum einen gewissen Stil verleiht. Zuletzt ist da noch die große, große Gruppe der Musiker, die in etwa so viel Stil haben wie ein verstaubtes Glas Bananenweizen, nicht halbvoll, nicht halbleer, einfach nur doppelt so groß, wie es sein müsste. Sie sind allerdings entweder ungewillt oder bloß zu blöd um die Flachheit ihrer Musik sowie ihres Charakters zu erkennen, und jedes Mal frage ich mich, ob ihre Augen hinter den getönten Sonnenbrillen nicht bereits eine Leere ausstrahlen, die der Verstand nicht gewillt ist zu akzeptieren.
Die Darstellung ist natürlich nur sehr oberflächlich gehalten. Natürlich hat nicht nur Nirvana sämtliche Stufen der „Stairway of Style“ erklommen. Nirvana teilt sich den Thron mit etlichen anderen, wie etwa den Doors und Jimi Hendrix. Es gibt noch viele weitere Bands, die möglicherweise diesen Platz verdient hätten, eventuell wäre etwa Metallica ein Kandidat, da bin ich noch nicht sicher. Allerdings ist der Thron nur nicht mehr existenten Bands vorbehalten; nur so ist gewährleistet, dass das hohe Niveau auch erhalten bleibt. Höchst stilvolle, aber eben noch stehende Bands wie Aerosmith und sowieso der Großteil der Classic-Rock-Riege stehen genau eine Stufe darunter. Auch solche Bands wie The Ramones finden sich dort wieder.
Dass auch Bands wie Joint Venture ganz oben anzusiedeln sind, bezeichnet es: um Stil zu haben, ist kein kommerzieller Erfolg vorausgesetzt. Man muss nicht einmal gute Musik machen. Ein paar weitere Fallbeispiele: Ween sind stilvoll, New Kids on the Block nicht. R.E.M. haben stil, Bro’sis liegt im negativen Bereich. In Extremo, CCR, Beethoven, Rammstein, Pink Floyd, The Blues Brothers, Johnny Cash, TonArt… sie alle baden in einer Essenz reinen Stils.
Zu dem, was ganz unten auf der Treppe wartet und nicht einmal den Versuch wagt, die Treppe zu erklimmen, brauche ich wohl nichts weiter zu sagen.

Es sei denn…
Schon einmal von Prussian Blue gehört?

Diese US-amerikanische Band besteht aus den Zwillingen Lynx Vaughan und Lamb Lennon Gaede, geboren 1992. Diese beiden unschuldigen Mädchen wuchsen, gut behütet, auf des Großvaters Farm auf, der als Brandzeichen für seine Rinder das Hakenkreuz benutzte. Die Mutter unterrichtete die beiden sowie die kleine Schwester Dresden Gaede selbst, aus Angst vor „falschen historischen Darstellungen“ in der Schule. Die Zwillinge hätten ja sonst den ganzen schlimmen Lügen über Vorbild Adolf Hitler glauben schenken können. Am Ende der Erziehung standen zwei gesunde, fröhliche Mädchen.



Zwei 15-jährige, blonde Haaren, blaue Augen, stolz auf ihre preußischen Vorfahren. Das Konzept: die Botschaft von der heilen Welt des Nationalsozialismus durch zwei harmlos wirkende Kinder verbreiten - „Können diese Augen lügen?“ Nach eigenen Angaben bezieht sich der Bandname Prussian Blue auf die blauen Rückstände des Gases Zyklon B, welches laut der „Holocaustlüge“ zur Vernichtung von Millionen Unschuldiger benutzt worden sei. 2007 traten die beiden unter Anderem auf dem Sachsentag der NPD auf.
Die beiden schreien ja förmlich nach Prügel.
Ich meine, ernsthaft… da hilft doch nur noch die Radikalkur. Allerdings würde das zum Konflikt mit meinem Kollegen Becker führen, da sie „eigentlich ganz geil“ aussehen. Der Kompromiss lautete kurzzeitig, die beiden erst an die Wand zu stellen und dann zu „Körperwelten“ zu überführen, doch haben die beiden, besonders in den USA, eine zu große Fangemeinde, als dass sich das einfach so durchführen ließe. Also habe ich beschlossen, den beiden bei ihrer Karriere ein wenig unter die Arme zu greifen, und habe ihnen einen Auftritt in unserer schönen Hauptstadt arrangiert. Ich hoffe, das Konzert bekommt reichlich Zulauf. Die beiden werden die kalte berliner Nacht wie ein Leuchtfeuer erhellen.



Ich für meinen Teil habe vor kurzem eine Musikrichtung entdeckt, die so stilvoll ist, dass, wenn man die Musik laufen lässt und ein Glas Wasser neben die Boxen stellt, es sich nach wenigen Minuten in einen White Russian verwandelt. Mit Eiswürfeln.

Die Rede ist von Celtic Punk.

Bevor sich Punk-Hasser entsetzt abwenden: der Celtic Punk hat sich innerhalb von Jahren zu einer eigenständigen Stilrichtung erhoben und ist so weit von ihren Ursprüngen entfernt wie die KPCh von ihren Grundsätzen von einst - der typische Celtic Punkt ist ein schottischer Pfarrer mit Alkoholproblem.

Der Celtic Punk ist eine Form des Folk Punk und entsteht dann, wenn man handelsüblichen, leicht verdaulichen Punk Rock nimmt und ihn einige Jahre lang zusammen mit einem guten Whisky in einem Holzfass reifen lässt. Wenn man genug Geduld hat, bekommt man hinterher die Härte und Geschwindigkeit des Punk Rock, vermischt mit dem klaren Sound schottischer und irischer Instrumentalistik, was alles in allem so leicht zu schlucken und so schwer zu verdauen ist wie ein mittelmäßiger Guinness.
Musiker des Celtic Punk sind auf der „Stairway of Style“ nicht eindeutig festzumachen. Es sind in etwa Musiker, die mühevoll die Treppe erklimmen, um dann kurz vor dem Ziel „nur mal kurz“ eine Pause einlegen, um zu trinken. Die Pause zieht sich in die Länge, der Whisky fließt in Strömen und die stilloseren Musiker der unteren Stufen werden nach einiger Zeit Zeuge davon, wie die Celtic Punks unter lauter Dudelsackmusik breit grinsend die Treppe herunterpoltern, um sich unten beim Aufprall die Fresse blutig zu schlagen. Was dem Grinsen natürlich keinen Abbruch tut. Dann beginnt wieder der Aufstieg.
Was ich damit sagen will, ist, dass das Niveau ihrer Texte durchaus kontrovers ist; wenn sie in der Stimmung sind, singen sie über das Leben, über das Sterben, über die Ewigkeit, über das Übernatürliche, über ihre Ahnen, über die Sehnsucht, über Freundschaften, die alles überdauern, und das auf eine Art und Weise, dass man das keltische Hochkreuz fast schon im Rücken spürt.
Doch irgendwann verlieren sie daran das Interesse und singen über das Saufen, über die Vorteile des anderen Geschlechts und über Bar-Prügeleien. Doch selbst, wenn sie das tun, gehört das stets zu ihrem Image, ist demnach also als höchst stilvoll einzuordnen. Wahrscheinlich tat ich ihnen mit meinem Gleichnis Unrecht – sie treten nur höchst selten den Abstieg auf der „Stairway of Style“ an.
Diese Bands werden einst in der Celtic-Punk-by-Hall-of-Fame, sponsored by Glenfiddich, geehrt werden, Bands, die Namen tragen wie Flogging Molly (benannt nach einem Irish Pub), The Real McKenzies (benannt nach der billigsten Whisky-Sorte in Kanada), The Men they couldn’t hang, Dropkick Murphys, Fiddler’s Green oder Blood or Whiskey.

So Gott will, wird es noch viele Jahre dauern, bis sie alle unausweichlich an Leberversagen sterben. Und selbst, wenn es passiert, täte das ihrer Karriere keinen Abbruch - dadurch würden sie schließlich den Aufstieg der „Stairway of Style“ gemeistert haben.

- Dude -

1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

Jiiiiihaaaaaa.
Mal wieser nen sehr geiler Beitrag vom Dude. Total genial.
Vor allem das TonArt unter die Kategorie Stilvoll eingeordnet wurde finde ich sehr geil. Immer weiter so.