Sonntag, 20. Januar 2008

Von der Vergewaltigung des Bieres


Ähnlich wie mein Kollege Becker war ich vor kurzem in der Stadt. Hatte ich bis eben noch vor, die Sinnlosigkeit dieses Unterfangens auf humorvolle Art und Weise zu verdeutlichten, wie es sich eben für einen durchschnittlichen satirischen Schriftsteller gehört, so wurde mir soeben klar, dass Becker mir mit seinem Artikel bereits den Wind aus den Segeln genommen hat. Danke, Mann! Niemand will zwei schlechte Artikel über das gleiche schlechte Thema lesen, nicht einmal die Menschen, die unserer Seite besuchen.
Folglich muss ich umschwenken, und da fällt mir tatsächlich ein Erlebnis ein. Es handelt sich dabei um eine ziemlich unheimliche Begegnung, die ich nur zu Recht seit langem zu verdrängen versuche.
Es geschah vor langer Zeit, im Sommer 2007. Ich befand mich in der Stadt (keine Angst, das ist die einzige Parallele – versprochen!), und auch wenn ich eigentlich kein rechtes Ziel hatte, begann der Tag viel versprechend. Es waren Ferien, die Sonne schien, die Menschen waren gut drauf wie früher auf einem Wailers-Konzert. Doch unter der Fassade naiver Zufriedenheit lauerte das Unsagbare, welches nach und nach aus der Tiefe emporstieg und sich in den Seelen unschuldiger Bürger festzusetzen begann. Die ganze Szenerie hätte einem Buch von Stephen King entnommen sein können. Wer jetzt noch fragt, von welcher Bedrohung ich spreche, gehört zu meiner Sorte – zu den Menschen, die versuchen zu vergessen.
Und genau jene hole ich hiermit zurück in die Realität. Genau jene werde ich dazu bringen, sich zu erinnern.
An den Sommer 2007.
An die Zeit der Biermischgetränke.
Spätestens jetzt dürften sich verloren geglaubte Erinnerungsfetzen wieder zusammenfügen und den Verstand in rote Farbe tauchen, wenn die Geschehnisse wieder so präsent sind wie am ersten Tag. Und bevor ich euch wieder voll mit der Thematik konfrontiere, werde ich euch einen Moment Zeit geben, euch wieder zu sammeln.
Bereit? Dann los.
Zunächst ein kleiner historischer Exkurs. Das wohl erste Biermischgetränk entstand gegen Ende des 19. Jahrhunderts, als ein königstreuer und offensichtlich etwas verwirrter Preuße in einem Zustand geistiger Umnachtung Zitronenlimonade in sein Bier kippte. Bestimmt ist ihm seine Untat später bewusst geworden, aber geschenkt, der Schaden war schon angerichtet und das Radler geboren. Das Radler an sich möchte ich hier überhaupt nicht verteufeln, und auch viele andere der bis 1993 entstandenen Biermischungen – Altbierbowle, Fliegender Hirsch, Diesel oder Bismarck – sind bis zu einem gewissen Grad noch akzeptabel. Dennoch wünschte ich mir, sie wären nie entstanden, wenn ich mir ihre spätere Evolution ansehe.
Denn 1993 geriet alles aus dem Ruder, als ein neues Biergesetz es den Herstellern erlaubte, jene Getränke bereits fertig gemischt und unabhängig vom deutschen Reinheitsgebot in den Läden zu vertreiben. Hätte man doch stattdessen die Schusswaffen legalisiert! Im gleichen Jahr wurde Bill Clinton US-Präsident und Bayer Leverkusen gewann den DFB-Pokal – wer die Zusammenhänge nicht eingesteht, versteht entweder überhaupt nichts oder er gehört zu IHNEN.
Seit 1993 entwickelten nahezu sämtliche renommierte Bierbrauereien Absonderlichkeiten wie Gold-Biere, Limonen-Biere und so weiter, eben Biere, die erfrischend oder mild schmecken sollen und oft einen Alkoholanteil besitzen, der bloß halb so hoch ist wie bei anständigem Bier. Und das alles, um die deutsche Jugend und die deutschen Frauen stärker als Zielgruppe an sich zu binden und jahrhundertealte Tradition in den Orbit zu schießen.
Meinem persönlichen Empfinden nach hat dieser Trend 2007 seinen traurigen Höhepunkt erreicht, als die Bremer Brauerei Beck’s („Nicht ganz die schlechteste“, schlage ich als Werbeslogan vor) dem Fass ein dutzend Kronen aufsetzte, indem sie noch zwei weitere Biermischgetränke auf den Markt brachte – Chilled Orange und Level 7. Während das erste, dem Namen nach zu urteilen, ein Bastard aus Bier und Orangensaft sein musste, konnte und wollte ich mir unter Level 7 nichts vorstellen. Ich muss gestehen, ich empfand ein gewisses Mitleid für die Brauerei. „Kein Mensch wird das je trinken wollen“, das war in etwa, was ich dachte, und sah Beck’s bereits am Rande der Insolvenz. Doch viele meiner Mitmenschen griffen begeistert zu, als Fernsehen und Radio es ihnen befahlen.
Und wie ich so an jenem schicksalhaften Sommertag durch die Innenstadt schlenderte – sie erinnern sich? – musste ich zu meinem Entsetzen feststellen, dass das Virus bereits meine Heimatstadt erreicht hatte. Überall hielten Passanten die charakteristischen Weißglasflaschen in der Hand, die Gesichter tot und leer. Es waren einfach unglaublich viele.
Zu viele.
Denn bei näherer Betrachtung war ich in einer riesigen Menschenmenge der einzige ohne eine solche Flasche, und als ich meinen Fehler bemerkte, war es zu spät. Es erinnerte frustrierend an Dawn of the Dead. Der Platz, auf dem ich mich befand (später erfuhr ich, er wurde einst auf einem alten Indianerfriedhof errichtet), war zu allen Seiten abgeriegelt – an jedem Ausgang stand ein Kleinbus mit Beck’s-Aufdruck und zwei oder drei Menschen, deren Kleidung das gleiche Logo trug. Ich suchte verzweifelt nach einem Ausweg, da stand bereits einer von ihnen vor mir und hielt mir eine Flasche hin.
„Testen Sie gratis das neue Beck’s Level 7!“
Es klang in etwa so verführerisch wie „Hey, lassen Sie sich umsonst mit einem Spaten ins Gesicht schlagen!“ Folglich drängte ich mich vorbei, doch er folgte mir. „Es ist neu! Jeder hat eins! Sie haben noch keins! Sehen Sie sich das an! Weiße Flasche! Level 7! Neu, sehen Sie? Nehmen Sie sich eins!“ Natürlich trat ich ihm die Beine weg und rannte los. Ich erspähte eine kleine, dunkle Seitengasse, schlüpfte hinein und fand mich vor einer Mauer wieder. Doch bevor ich die nächsten Schritte planen konnte, hörte ich hinter mir welche. Langsam drehte ich mich, und erspähte eine hübsche, junge Frau. Mit Beck’s-Shirt. Verdammt. Eine Nanosekunde später war sie bei mir, und bevor ich wusste wie mir geschah, spürte ich ein Gewicht in meiner Hand, 391 Gramm. Sie hatten es geschafft. Ungläubig löste ich meinen Blick von der Flasche, um die Frau zur Hölle zu schicken, doch sie war nicht mehr da – dort wo sie gestanden hatte, stiegen feine Rauschschwaden in die Luft.
Ich kann mich nicht genau erinnern, was ich da empfunden habe, aber ich konnte meine Augen nicht von der Flasche abwenden. Es war wie bei einem Autounfall.
Immerhin fand ich so heraus, worum es sich bei dieser Abscheulichkeit handelte: es ist ein Bier-Energy-Mischgetränk.
An dieser Stelle möchte ich erwähnen, dass ich noch nie gut in Mathematik war. Doch die Rechnung Bier plus Energy gleich trinkbar kam selbst mir als der Gipfel der Schwachsinnigkeit vor. Bier schmeckt gut, Energy nicht. Wie kann man nach einer Kombination dann auf ein gutes Produkt hoffen?
Ich habe seitdem sehr viel nachgedacht, doch egal, aus welchem Winkel ich es betrachtete, nie habe ich verstanden, wie Level 7 seine Existenz legitimiert. Wozu braucht man Bier, das einen wach hält? Wozu braucht man einen Wachhalter, der einen besoffen macht?
Wenn ich wach bleiben will, trinke ich Kaffee. Wenn ich meine Sinne lähmen will, trinke ich Bier. So einfach ist das. Dazu enthält Level 7 einen verdammt niedrigen Koffeinanteil, zwar mehr als echtes Bier, aber wenn man die Nacht mit offenen Augen verbringen will, muss man ganze Fässer trinken. Aber selbst wenn ich das täte bliebe die Frage nach dem warum. Denn welcher Mensch möchte sein Ausnüchtern schon live miterleben? Das ist doch wie eine Not-Op ohne Betäubung. Alternativ trinkt man nur ein, zwei Flaschen davon – der Würgereflex hält auch ganz gut wach, habe ich gehört.
Übrigens möchte ich darauf hinweisen, dass ich die Flasche nie getrunken habe. Ich habe sie unauffällig neben einem Friedhof abgestellt, und irgendwelche Menschen mit Kutten haben mit ihr Rituale abgehalten. Anscheinend konnte sie keinen Schlaf finden.
Zuviel Koffein, vermute ich.


-Dude-

2 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Einfach genial! Auf dass dieser Schwachsinn aus den Regalen der Getränkemärkte verschwindet.

Anonym hat gesagt…

Dude, du hast einen sehr amüsanten Schreibstil...
Willst du nicht ein Buch herausbringen ? ;)